DER VISIONÄR
Einer dieser alltäglichen, prosaischen Augenblicke. Mohamed Sambou steht am Küchenfenster und schaut hinaus in die wilde Natur, die den kleinen Ort Snåsa umgibt. In der Hand hält er ein Glas Wasser. Er trinkt einen Schluck. Schaut hinaus in die Landschaft. Trinkt noch ein wenig. Das kühle, frische Wasser. Die Natur. Der Wald, die Berge.
Da wird ihm plötzlich klar: ”Das hier muss ich teilen, das hier muss ich einfach mit dem Rest der Welt teilen.” Eine Reihe von Zufällen hat ihn hierher geführt. Jetzt weiß er plötzlich, warum. Ein belgisch-marokkanischer Computeringenieur in einem kleinen Ort in Trøndelag, nicht weit vom geographischen Mittelpunkt Norwegens entfernt, hat ein Eureka-Erlebnis durch ein Glas Wasser… ”Die Idee war ja einfach, aber wir mussten hart dafür arbeiten”, sagt er jetzt, wo er vor dem 1100 m2 großen Abfüllbetrieb steht.
”Es hat allein drei Jahre gedauert, die perfekte Wasserquelle zu finden. Dann folgten mehrere Monate mit Tests. Wir haben nach einer Quelle gesucht, wo das Wasser einen niedrigen Mineralgehalt und einen neutralen pH-Wert hat, und wo es vor allem gut schmeckt. Gleichzeitig musste sie genug Wasser führen, um die Nachfrage auf dem Markt decken zu können. Und dazu kam auch noch, dass die Quelle nicht zu weit entfernt und die Produktion nicht mit allzu großen Eingriffen in die Natur verbunden sein sollte. Ich will keine Straßen bauen und Wald fällen, um etwas zu gewinnen, das genau der gleichen Natur Leben spendet. Das Wasser wurde nach strengen Vorschriften getestet und der Geschmack musste gut und ausgewogen sein. Wir haben in der gesamten Gemeinde gesucht. Zum Schluss, nach ewigem Suchen und unzähligen Probebohrungen, fanden wir eine Quelle, die alle diese Anforderungen erfüllte. Das Schicksal wollte es, dass diese Quelle genau hier lag, in Korsvollan, nur 10 km vom Ortskern Snåsa entfernt.”
Nicht weit vom Abfüllbetrieb entfernt, ungefähr 400 m, auf einer Waldlichtung hinter einer selbstgebauten Wegabsperrung und am Ende eines bescheidenen Schotterwegs, steht ein unauffälliges graues Holzhaus. Ein einzelner grauer Kondensstreifen eines Flugzeugs am blauen Himmel ist das einzige, was an die moderne Zivilisation erinnert. Man kann fast schon eine alte Frau mit krummem Rücken die knirschende Tür öffnen sehen, die hinaus ins Licht blinzelt – wie in einem Märchen. Aber in diesem kleinen Häuschen verbirgt sich also die Quelle.
Es war hier, wo der erste Tropfen aus der Tiefe geholt wurde. Unter diesem Holzhaus liegt die Snåsa-Quelle. ”Ich habe es selbst gebaut”, sagt Mohamed, fast schon entschuldigend. ”Wir werden bald ein größeres, moderneres Gebäude über dem Brunnen bauen. Es sieht vielleicht nicht besonders imposant aus, aber hier können wir genug Wasser zapfen, um den internationalen Markt zu versorgen.” Ein Eichhörnchen flitzt den Stamm einer Kiefer hinauf. Im Gebirge, nur einige Kilometer entfernt, treiben die Samen ihre Rentiere zusammen, um sie zu markieren und zu schlachten. In der Stille kann man das Rieseln eines Bachs ahnen, wo sich Forellen tummeln.
”Obwohl wir hier in Snåsa kalte Winter und warme Sommer haben, hält die Quelle das ganze Jahr über eine gleichmäßige Temperatur von 3,5 Grad. Das Wasser hat einen pH-Wert von 6,7 und einen sehr niedrigen Mineralgehalt. Die Snåsa-Quelle kann jährlich eine Milliarde Wasser liefern, ohne dass der natürliche Kreislauf in der Umgebung beeinträchtigt wird.” Mohamed weiß, wovon er spricht. Im Laufe der letzten Jahre hat er sich zu einem Experten auf dem Gebiet Wasser entwickelt. Unzählige kleine Testbrunnen wurden gebohrt, und unzählige Tropfen Wasser im Labor getestet. Unzählige Meetings mit Hydrogeologen, Lokalpolitikern, Investoren und Bürokraten, um auch die Skeptiker davon zu überzeugen, was Mohamed die ganze Zeit genau wusste, nämlich dass Snåsa etwas einzigartiges zu bieten hat: Eigenes, sauberes Wasser.
”Wenn es eine Sache gibt, die ich bei diesem Projekt absolut richtig gemacht habe, ist es, mich mit guten Leuten zu umgeben und kompetente, hart arbeitende Menschen anzustellen. Und es sollen noch mehr dazukommen. Das menschliche Kapital war von Anfang an vorhanden. Ich glaube an unser Produkt. Und ich glaube an die Mitarbeiter.” Ungefähr die Hälfte der Gemeinde Snåsa ist als Nationalpark klassifiziert. Der Blåfjella-Skjækerfjella Nationalpark ist der viertgrößte in Norwegen. Mitten im Wald, in dieser üppigen Landschaft, wo in den Sommermonaten 17 verschiedene Orchideenarten wachsen, liegt also die Quelle, tief unter dem schützenden Waldboden verborgen.
Das Wasser sickert langsam durch die vielen Schichten mit Erde, Lehm, Sand, Steinen und Schotter. ”Es gibt keinen Hokus Pokus mit unserem Produkt”, sagt Mohamed und lächelt, ”es ist ganz einfach norwegisches Quellwasser, von der Natur selbst gefiltert. Ein Naturprodukt in seiner reinsten Form, aus der Tiefe der tiefen Wälder.” Er schützt die Augen mit einer Hand vor der niedrig stehenden Herbstsonne, die in den mit Raureif überzogenen Zweigen einer alten, vergilbten Birke glitzert. ”Das ist der Peil-Baum, den wir ganz am Anfang benutzten, um zur Quelle zurückzufinden, bevor der Schotterweg angelegt wurde”, sagt Mohamed und zeigt auf die Birke. ”Jetzt habe ich nicht das Herz, sie zu fällen.” Der schlanke Baum streckt sich über dem kleinen Brunnenhaus dem Licht entgegen, wie eine ausgediente Kompassnadel.
”Das ganze Holz von den Bäumen, die gefällt werden mussten, um den Weg anzulegen, Rohre zu verlegen und den Abfüllbetrieb zu bauen, habe ich weggegeben. Ich habe den Plan, irgendwann wieder genau so viele Bäume zu pflanzen, wie wir fällen mussten.” Mohamed läuft eine Runde um das Brunnenhaus herum, hebt einen vergessenen Schraubenzieher von der Erde auf und lehnt sich vorsichtig an die Birke. ”Es ist schon seltsam. Wasser ist ja von Natur aus ein Nomade, genau wie ich selbst, ganz gleich ob es in den marokkanischen Bergen ins Tal fließt, wo ich geboren wurde, langsam durch die Kanäle in Belgien treibt, wo ich als Kind gebadet habe, oder von den Nadeln der Bäume hier im Wald um uns herum tropft. Und es ist genau dieses umherstreifende Wasser, das mich dazu bewegt hat, am Ende hier in Snåsa zu bleiben.”